You are currently viewing Verben mit der Endung -ieren: Ursprung, übermäßige Nutzung und Tipps zur Textverbesserung

Verben mit der Endung -ieren: Ursprung, übermäßige Nutzung und Tipps zur Textverbesserung

Bei manchen Texten im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und/oder beruflichen Umfeld beginne ich schon nach dem ersten Absatz mit dem Zählen, – mit dem Zählen der Verben mit der Endung -ieren. Denn nach dem ersten Absatz ist mein Blick in die Glaskugel nicht trübe. Es zeigt sich glasklar – hier kommt ein Text übervoll mit Verben dieser Art.

Innerlich verdrehe ich schon die Augen 🙄.

Die Parade der ‚-ieren‘-Verben im beruflichen Kontext

Auf Websites, in Broschüren, in Präsentationen und natürlich in der Umgangssprache sind sie präsent und werden gern genutzt.

Ein Beispiel gefällig?

In unserem Unternehmen fokussieren wir uns darauf, Kundenbedürfnisse zu analysieren und innovative Lösungen zu präsentieren. Wir organisieren regelmäßig Meetings, um Strategien zu eruieren und Ideen zu diskutieren. Unsere Expertenteams arbeiten eng zusammen, um Projekte zu realisieren und Ergebnisse zu optimieren. Wir kommunizieren aktiv mit Kunden, um Feedback zu generieren und unsere Dienstleistungen kontinuierlich zu verbessern. Ziel ist es, langfristige Partnerschaften zu etablieren und langfristigen Erfolg zu manifestieren.

Schließen Sie mal die Augen und überlegen Sie, wie viele Verben mit der Endung -ieren Sie gelesen haben …

Hätten Sie gedacht, dass sich in diesem fiktiven Text mit 67 Wörtern zwölf Verben mit der ‚-ieren‘-Endung tummeln? Wohl eher nicht. Mir ging es genauso, denn wir sind an diese Verben mittlerweile gewöhnt.

Gleichzeitig: Wie fanden Sie den Text, – außerordentlich, informativ, langweilig, verständlich? Hat er Sie bewegt oder einen Eindruck hinterlassen? Wohl eher nicht! Das liegt u. a. an den verwendeten Verben.

Im Kontext des wirtschaftlichen Managements verwenden wir eine Vielzahl der folgenden ‚-ieren‘-Verben gerne:

analysieren, basieren, bilanzieren, datieren, decodieren, definieren, digitalisieren, diskutieren, diversifizieren, emotionalisieren, engagieren, eskalieren, etablieren, exportieren, flankieren, fokussieren, formulieren, gegenfinanzieren, globalisieren, harmonisieren, herumlaborieren, identifizieren, illustrieren, informieren, initiieren, jubilieren, justieren, kalkulieren, kanalisieren, kapitalisieren, klassifizieren, kommunizieren, komplettieren, kreieren, kritisieren, legitimieren, lektorieren, manifestieren, marginalisieren, maximieren, minimalisieren, nummerieren, objektivieren, optimieren, organisieren, partizipieren, pauschalisieren, portraitieren, präsentieren, probieren, produzieren, qualifizieren, quittieren, rabattieren, realisieren, reduzieren, reflektieren, rekapitulieren, revidieren, rückdatieren, simulieren, spezialisieren, standardisieren, strukturieren, studieren, symbolisieren, telefonieren, typisieren, umformatieren, umstrukturieren, verbalisieren, verifizieren, weiterdiskutieren, zelebrieren, zirkulieren

Zu Ihrer und meiner Beruhigung: Alle Verben mit der Endung -ieren sind grammatikalisch korrekt und problemlos nutzbar. Und wenn Sie und ich wollen, können wir diese in unseren Texten hineinquetschen, bis die Sätze davon überquellen.

Warum ich gleichzeitig für eine sparsame Dosierung dieser Verben ausspreche, davon später. Zunächst:

Warum haben wir so viele Verben mit der Nachsilbe -ieren?

Auf der Suche nach einer umfassenden Liste mit den Verben mit der Endung ‚-ieren‘ war ich selbst über deren schiere Menge erstaunt. Wenn Sie sich die Verben dieser verlinkten Liste ansehen, wird es Ihnen wahrscheinlich wie mir gehen: Manche lesen Sie zum ersten Mal und deren Bedeutung können Sie sich ggfs. mit Latein- oder Französischkenntnissen erschließen.

Durch sogenannte Suffixe (d. h. Endungen/Nachsilben wie -ieren) und Präfixe (d. h. Vorsilben wie be-, ent-, ver-) können wir neue Wörter bilden. Mir als Nicht-Sprachwissenschaftlerin wurde wieder verdeutlicht, wie herrlich wandelbar die deutsche Sprache doch ist!

Die Endung -ieren macht neue Verben aus …

  • Fremdwörtern anderer Sprachen (Latein, Französisch oder Englisch),
  • aus deutschen Substantiven oder
  • aus deutschen Adjektiven.

Hier ein paar Beispiele:

  1. Disputation, die Erörterung (lateinisch) ➡️ disputieren
  2. Addition, die Hinzufügung (lateinisch) ➡️ addieren
  3. Blamage (frz.) ➡️ blamieren
  4. to train (engl.) ➡️ trainieren
  5. to code (engl.) ➡️ codieren
  6. Das Amt ➡️ amtieren
  7. digital ➡️ digitalisieren
  8. stolz ➡️ stolzieren
  9. halb ➡️ halbieren

Nicht verwechseln

Achtung: Es gibt im Deutschen Verben mit der Endung -ieren, die nichts mit dem oben Gesagten zu tun haben. Das sind Verben wie: verlieren, zieren, frieren, gieren. Hierbei handelt es sich nicht um die Nachsilbe -ieren, sondern vielmehr gehört -ieren zum Verbstamm.

Eine Frage des Stils: lieber weniger als zu viel

In der Schule haben wir gelernt, dass ein Verb ein TUN-Wort ist; Sprachpapst Wolf Schneider nannte das Verb so schön ein „Wort der Tat“.
Richtig ausgewählt, können wir über das Verb eine Aktion, ein Ereignis oder einen Zustand direkt fühlen und erleben: Wir hören den Wind peitschen, während gleichzeitig schwere Regentropfen auf unsere Haut klatschen. Oder rümpfen über einem brodelnden Schlammloch auf Island wegen des fauligen Eiergeruchs die Nase.
Erleben, spüren wir dies bei Verben wie degustieren, avisieren oder negieren ebenso? Ich bezweifle es.

Was für die Verwendung von Verben mit der Endung -ieren spricht

  • Diese Verben sind oft präzise und fachlich spezifisch. Das macht sie besonders nützlich, um komplexe Handlungen oder Konzepte eindeutig zu beschreiben.
  • Geringe Sprachbarriere für Nicht-Muttersprachler: Verben mit der Nachsilbe -ieren sind bei Menschen beliebt, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Diese Verben werden nämlich alle gleich dekliniert (Flexionstabelle)
  • Alle, die diese Verben gekonnt mündlich und schriftlich einsetzen, zeigen einen höheren Bildungsgrad.

Was gegen die Verwendung von Verben mit der Endung -ieren spricht

  • Denken Sie noch einmal an mein Einstiegsbeispiel. Können Sie sich noch erinnern, was ich dort ausgeführt habe? Eine übermäßige Verwendung dieser Verben in schneller Folge führt zur Monotonie Ihres Sprachstils.
  • Verwenden Sie diese ‚-ieren‘-Verben, die aus einem bestimmten Fachbereich kommen (s. oben Beispiele im Kontext des wirtschaftlichen Managements), sind diese Fachtexte möglicherweise schwer verständlich für Personen außerhalb dieses Fachbereichs.
  • Wer viele lateinische und griechische Wörter und deren Abkömmlinge verwendet, zeigt zwar einen hohen Grad an Bildung, kann bei mittleren und unteren Bildungsschichten jedoch auf Kommunikationsblockaden vom Nichtverstehen bis hin zu Feindseligkeiten treffen.

Tipps für den bewussten Umgang mit ‚-ieren‘-Verben

Denken Sie noch einmal an mein Beispiel zu Beginn dieses Blogartikels. Dieser kurze Text mit 67 Wörtern enthielt zwölf dieser Verben. Im Folgenden habe ich den Text ohne diese Verben umformuliert:

Unser Unternehmen legt Wert darauf, Kundenbedürfnisse zu ergründen und zu verstehen sowie innovative Lösungen vorzustellen. Unsere Experten besprechen sich regelmäßig, um Strategien zu entwickeln und Ideen zu erörtern. Unsere Expertenteams arbeiten eng zusammen, um Projekte umzusetzen und optimale Ergebnisse zu erhalten. Wir tauschen uns aktiv mit unseren Kunden aus, um deren Meinung zu erfahren und unsere Dienstleistungen ständig zu verbessern. Unser Ziel ist es, langfristige Partnerschaften aufzubauen und langfristigen Erfolg zu gewährleisten.

Sie sehen: In diesem fiktiven Beispieltext konnte ich alle Verben mit der Nachsilbe -ieren ersetzen. Er ist nun besser zu verstehen. Dass dieser Text trotzdem generisch und aussagelos ist, steht auf einem anderen Blatt Papier 😉. Verwenden Sie ihn bitte nicht als Vorlage für einen Ihrer Unternehmenstexte!

Nutzen Sie möglicherweise übermäßig ‚-ieren‘-Verben? Wollen Sie aufgrund meiner Ausführungen in der nächsten Zeit auf Ihren Gebrauch dieser Verben achten?

Dann habe ich folgende Tipps für Sie:

  1. Schreiben Sie einen durchgängigen Erstentwurf Ihres Textes.
  2. Beginnen Sie mit der Korrektur des Textes (in dieser Reihenfolge: Thema, generelle Struktur, Satzstruktur) und am Schluss beschäftigen Sie sich mit Ihrer Wortwahl, worunter auch die Verben auf -ieren fallen.
  3. In diesem Teil der Überprüfung Ihres Textes streichen Sie sich alle Verben mit der Endung -ieren an.
  4. Überlegen Sie bei jedem dieser Verben, ob Sie eine Alternative finden wollen.
  5. Alternative, griffigere Verben der Tat finden Sie u. a. bei:
    – Meine erste Anlaufstelle ist immer der Synonym-Finder von woxikon
    – Folgendes pdf enthält für viele ‚-ieren‘-Verben alternative Formulierungen.

Fazit

Verben mit der Endung -ieren sind ein wichtiger Bestandteil der deutschen Sprache. Sie können effektiv eingesetzt werden und sind grammatikalisch einwandfrei nutzbar. Neue Fachbegriffe oder Worte aus anderen Sprachen können mit der Nachsilbe -ieren schnell ins Deutsche aufgenommen werden.

Zu viele ‚-ieren‘-Verben lassen Ihren Text eintönig wirken. Ihr Sprachstil leidet. Schlimmstenfalls werden Sie von Menschen, die sich diese Verben nicht erschließen können, nicht verstanden.

Eine ausgewogene Sprache mit einem Blick auf Allgemeinverständlichkeit macht Ihre Texte nicht weniger präzise oder weniger fachkundig; vielmehr werden sie interessant und lesbar zugleich.

Verwenden Sie diese Verben mit Bedacht. Im Zweifelsfall suchen Sie lieber ein „Wort der Tat“!

Wie denken Sie über diese Verben? Fällt Ihnen deren übermäßige Gebrauch in Texten auf und stört er Sie? Ich freue mich auf Ihre Meinung!

Herzlichst

Ihre Manuela Seubert

Schreibe einen Kommentar